Coronakrise: Quo vadis, Großveranstaltung?

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Bestuhlte Konzerte mit Abständen und personalisierten Plätzen können in der Coronakrise in kleineren Rahmen eine Lösung für Großveranstaltungen sein.

Die Coronakrise hat in Europa und weltweit schwere wirtschaftliche Verwerfungen ausgelöst, die insbesondere auch Veranstalter von Großveranstaltungen hart treffen. Viele Staaten haben mit Einbußen in der industriellen Produktion, dem Handel und Dienstleistungen zu kämpfen. Besonders getroffen hat es in Deutschland wie auch anderswo die Veranstaltungsbranche und alle diejenigen, die zumindest zu einem erheblichen Teil von Besuchern, Zuschauern und Fans in Arenen, Konzertsälen und Bühnen leben. Ob Bundesliga, Festivals oder Messen – nichts geht mehr, zumindest nicht wie vor Coronazeiten. Während in den ersten Monaten Veranstaltungen jeglicher Art gänzlich untersagt worden sind, haben sich mittlerweile Lockerungen in den Bundesländern durchgesetzt, mit zum Teil unterschiedlichen Ausprägungen. Einige Bundesländer verbieten Veranstaltungen ab einer bestimmten Anzahl von Personen bis Ende Oktober, andere bis mindestens Ende August. Doch auch bei der Frage, was als Großveranstaltung anzunehmen ist, gibt es keine einheitliche Definition. So sieht ein Leitfaden für Großveranstaltungen des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport eine eindeutige Abgrenzung zwischen Großveranstaltung und kleineren Veranstaltungen als schwierig an, weil es auf den Einzelfall ankommt. Die Covid-19 Bestimmungen der Länder zu Veranstaltungen fallen dann auch je nach Bundesland differenziert aus. In Baden-Württemberg sind beispielsweise Großveranstaltungen bis Ende Oktober über 500 Personen verboten – In Bayern dagegen sind sie gänzlich verboten.

Coronakrise hält weiter an

Es ist davon auszugehen, dass das Virus selbst bei einem Impfstoff bleiben wird, denn eine Immunisierung scheint, zumindest Stand heute, nicht für immer gegen das Virus resistent zu machen. Das bedeutet, dass sich das öffentliche (und auch individuelle) Leben damit auseinandersetzen muss, denn Veranstaltungen wie in der Vergangenheit, bei denen mehrere Tausend Menschen auf engen Raum, sei es unter freiem Himmel oder in einem Gebäude, zusammenkommen, kann es dann so eigentlich nicht mehr geben. Das heißt nicht, dass es diese Veranstaltungen nicht mehr geben wird, aber sie müssen der Covid-19 Situation angepasst stattfinden. Und dafür sind Konzepte und Technologien notwendig, die helfen können, das Ansteckungs- und Ausbreitungsrisiko so weit wie möglich zu reduzieren. „Eine 100prozentige Sicherheit wird es dabei ähnlich wie im Straßenverkehr nicht geben. Ein Restrisiko wird immer bleiben, und der Einzelne wird entscheiden müssen, ob er dieses Risiko bereit ist einzugehen; und zum anderen, ob er gewillt ist, bestimmte Technologien zum Schutz von sich und anderen zu akzeptieren“, erklärt Sven Gábor Jánsky vom Thinktank 2b Ahead. Die Frage der Risikobetrachtung ist aber nicht eine rein individuelle, sondern auch und gerade eine gesamtgesellschaftliche, weswegen wirkungsvolle Maßnahmen und Technologien allgemein akzeptiert werden müssten, um möglichst viele zu schützen.

Foto: Borussia Dortmund

In der aktuellen Situation der Coronakrise scheint es kaum vorstellbar, dass auf Großveranstaltungen jemals wieder so viele Menschen auf engem Raum zum Feiern zusammenkommen.

Konzepte für Großveranstaltungen in der Testphase

Dort, wo aktuell Veranstaltungen erlaubt sind, müssen entsprechende Hygienekonzepte und Maßnahmen für die Kontaktnachverfolgung vorliegen. Bei (Groß)Veranstaltungen unter freiem Himmel, wie Konzerte oder auch sportliche Ereignisse, die aber einen Sonderstatus haben, wird häufig auf Mindestabstände, Masken und personalisierte Plätze verwiesen. Jedes Konzept muss von der zuständigen Genehmigungsstelle abgesegnet werden und ist letztlich eine Einzelfallentscheidung, die von vielen, auch infrastrukturellen Gegebenheiten abhängt. Ein positives Beispiel ist etwa der Nürburgring, wo nun 5.000 Zuschauer einem Motorsportereignis beiwohnen dürfen. Möglich macht dies ein stringentes Konzept aus personalisierten Platzkarten, die ausschließlich online bezogen werden konnten, sowie Maßnahmen zur Nachverfolgung einer möglichen Infektionskette. Drei geöffnete Tribünen sind in Sektoren mit Sitzblöcken eingeteilt worden – mit ausreichend Abständen zwischen den Zuschauern. Und jeder Tribüne ist ferner eine feste Parkzone zugeteilt. Über ein Besucherleitsystem wird sichergestellt, dass die Zuschauer der drei Tribünen sich nicht mischen können. Platzanweiser achten auf Abstände und Platzzuordnungen. Für Veranstaltungen mit personalisierten Plätzen mag dies also bereits funktionieren, doch wie sieht es mit denen aus, wo dies nicht möglich ist, etwa Volksfesten oder Open-Air Konzerten? Das Forschungsprojekt Restart-19 der Universitätsmedizin Halle (Saale) will dieser Frage nachgehen und hat dafür eine Simulation eines Hallenkonzertes geplant, mit etwa 4.000 Freiwilligen. Ziel ist es, mittels dreier Szenarien herauszufinden, unter welchen Bedingungen Großveranstaltungen durchgeführt werden können, ohne die Bevölkerung zu gefährden. Auch die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist im Projekt mit eingeschlossen.

Technologie und die Datenfrage

Viele Länder weltweit und in Europa setzen mittlerweile auf Apps, die Infektionsketten nachvollziehbar machen sollen – und zwar schnellstmöglich. Das grundlegende Problem hierbei ist nicht unbedingt die Technologie, sondern vielmehr die Frage, was mit den Daten geschieht und ob der Einzelne wiederum zur Weitergabe persönlicher Informationen bereit ist. Solche Tracer-Apps könnten neben anderen technischen Hilfen wie Fiebermessen per Wärmebildkamera ein wirkungsvolles Instrument sein, um potenziell Infizierte zu erkennen und Infektionsketten nach Großveranstaltungen nachvollziehen zu können. Beim aktuellen Einsatz solcher Apps zeigen sich aber gleich mehrere Probleme, die dann auch auf Veranstaltungsebene zu übertragen sind. Zunächst ist festzustellen, dass nicht jeder ein Smartphone hat, auf dem eine solche App läuft. Theoretisch könnte man dies für Veranstaltungen auch über RFID-Sender bewerkstelligen, die Kontaktinformationen über die Nähe zu anderen weitergeben. Ein zentrales Problem ist bei einer App (und wohl auch bei einer anderen, ähnlichen Lösung) die Frage der Datenverarbeitung. Dass dies keine leicht zu lösende Aufgabe ist, hat die Entwicklung der Apps in Europa gezeigt, wo es prinzipiell zwei Ansätze gibt: Eine dezentrale Verarbeitung der Daten auf dem jeweiligen Smartphone wie in Deutschland, Österreich oder Italien, oder ein zentraler Server, der die Daten verarbeitet, etwa wie in Frankreich. Eine dezentrale Verarbeitung wird als vergleichsweise sicher im Sinne des der DSGVO angenommen, doch auch die zentrale Lösung ist rechtlich möglich. Der Hauptunterschied liegt darin, dass die zentrale Verarbeitung auch Aussagen über „Infektionscluster“ erlaubt, weil hier alle Identifikationscodes von Mobilgeräten erfasst werden, im Unterschied zu dezentralen Lösung, wo nur die Identifikationscodes der Erkrankten ankommen. Die Identifizierung von Clustern ist ein wichtiges Mittel im Kampf gegen die Ausbreitung von Covid-19. Ganz davon abgesehen sind alle diese Lösungen freiwillig, auch die Weitergabe eines positiven Tests.

Risiko versus Akzeptanz

Egal, welche App genutzt wird, am Ende geht es darum, was der Einzelne in Bezug auf sein Risiko und dem „Verlangen“ nach einem Angebot – hier Teilnahme an einer Großveranstaltung etwa – bereit ist, zu akzeptieren. „So könnten große Events dahingehend auch technisch zusätzlich mit einer App (eventspezifisch oder allgemein) abgesichert werden, bei der der Teilnehmende automatisch in einer Datenverarbeitung einwilligt, die über den aktuellen Stand hinausgeht“, so Jánsky. Doch hierzu müssten erst einmal national und auch europaweit die Rolle des Datenschutzes diskutiert werden, denn dieser steht nach wie vor speziellen technischen Lösungen im Weg, ohne dass es gleich wie etwa in Israel laufen muss. Dort übernimmt der Geheimdienst durch die Analyse und Auswertung aller Telefon- und Mobildaten die Nachverfolgung der Kontakte, mit einer nach wie vor relativ hohen Zustimmung in der Bevölkerung. Doch auch in Südkorea wird die Kontaktverfolgung per App weit stärker und verbindlicher genutzt, mit recht großem Erfolg. Daten werden per GPS und nicht per Bluetooth wie bei den europäischen Lösungen gesammelt, eine Anzeige von Infizierten und Warnung der anderen in Echtzeit ist damit möglich. Südkorea ignoriert dabei nicht den Datenschutz seiner Bürger, sondern hat die technischen Möglichkeiten nach dem Auftreten des Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS-CoV) in sein Infektionsschutzgesetz aufgenommen. Davon ausgehend, dass das Virus nicht verschwinden wird, muss es also hierzulande wie auch anderswo, eine Diskussion darüber geben, wie viel Datenschutz die Gesellschaft sich gegenüber staatlichen Behörden leisten will, ohne auf Groß- oder Massenevents verzichten zu wollen. Wenn das Virus bleibt, sind technische Lösungen das einzige Mittel, die Risiken zu minimieren. Solche Lösungen erfordern eine Verarbeitung persönlicher Daten gleich welcher Form. Ein hierzulande vergleichsweise starkes Misstrauen gegenüber staatlichen Behörden und was diese mit den Daten alles anfangen könnten, sollte dringend in irgendeiner Form aufgearbeitet werden, sollen Großveranstaltungen annähernd wie früher wieder funktionieren.


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