Krisenmanagement: Auswirkungen der Coronakrise

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Eine weltweite Krise wie jetzt Corona mit weitrechenden Folgen für die vernetzte Wirtschaft – viele Unternehmen haben aus Krisen in der Vergangenheit gelernt.

Die aktuelle weltweite Corona-Pandemie ist nur ein Krisenbeispiel, wenn auch ein dramatisches, woraus Krisenmanager lernen sollten. PROTECTOR sprach dazu mit dem Sicherheitsberater Rainer von zur Mühlen, Gründer der Von zur Mühlen‘sche GmbH (VZM).

Corona-Krise nur eine von vielen Krisen

Haben Sie in Ihrer mittlerweile 50-jährigen Berufslaufbahn jemals mit Ihren Kunden ein solches Szenario wie die jetzige Corona-Krise geprobt?

Rainer von zur Mühlen: Es wäre vermessen, diese Frage mit „Ja“ zu beantworten. Aber die Corona-Krise zeigt, dass die Werkzeuge eines Krisenmanagements eine Grundvoraussetzung sind, besser mit jeder – auch dieser – Krise fertig zu werden, als wenn man sich solche Werkzeuge nicht geschaffen und nicht geprobt hat. Krisenstäbe müssen eingespielt sein, sonst wird herumdilettiert.

Kann man sich als Unternehmen auf so eine Krise, wie eine weltweite Pandemie mit ihren weitreichenden Folgen für die vernetzte Wirtschaft überhaupt vorbereiten?

Durchaus! Wir haben doch Erfahrungen bei der Vogelgrippe und der damals drohenden Sars-Epidemie sammeln können. Und viele Unternehmen haben das auch getan und die Erfahrungen in ihre Krisenmanagement-Konzepte eingearbeitet. Schon damals gab es Homeoffice-Entscheidungen, die funktionierten. Unsere Simedia Akademie hat zudem seit Jahren – auch auf Basis der damaligen Ereignisse – Krisenmanager ausgebildet. Zudem haben wir in Unternehmen Krisenstabshandbücher entwickelt und ihre Anwendbarkeit teilweise sehr intensiv testen dürfen. Natürlich hat niemand von uns die Stabsübungen unter Annahmen der extrem schnellen Verbreitung und der so zahlreichen Todesfälle vorausplanen können oder wollen. Aber der Grundstein und die Werkzeuge, besonnene Reaktionen unternehmensindividuell zu entscheiden, waren gelegt. Und wir sehen jetzt, dass unsere Kunden hervorragend reagieren.

Deutsche Unternehmen sind nicht ausreichend auf eine Krise vorbereitet, so lautet aber das Ergebnis einer PwC-Studie, die vor Kurzem vorgestellt wurde.

Solche Studien differenzieren zu wenig. Sie schüren zudem Ängste und Unsicherheit beim Management und haben Schuldzuweisungscharakter. Denn: Was ist überhaupt „ausreichend“? Nie ist in einem solchen Fall etwas ausreichend. Außerdem sind „deutsche Unternehmen“ nicht monolithisch. Sie sind sehr unterschiedlich, vor allem auch in den Möglichkeiten. Wo soll ein 150-Personen-Mittelständler die Experten herhaben, die für eine solche Krisenlage eigentlich benötigt werden? Und woher soll er das Geld nehmen, im Kostenwettbewerb mit seinen Konkurrenten die Mittel zur Verfügung zu stellen? Und wie soll er die Umsatzausfälle kompensieren, aber die Gehälter, Miete und andere Kosten trotzdem zahlen?

Meiner Meinung nach verallgemeinert eine solche Studie oft zu stark und berücksichtigt beispielsweise nicht, dass Großunternehmen nach Sars und Schweinegrippe beispielhafte Vorsorge getroffen haben und dabei auch Mittelständlern mit Know-how-Transfer Hilfe gewährten. Außerdem unterschätzt man die Intelligenz deutscher Unternehmer und ihrer Mitarbeiter sowie deren Kreativität in der Not. Zudem haben sich das Robert-Koch-Institut und andere Einrichtungen als hervorragende Informationsquelle der Wissenschaft (Virologen und Mediziner) erwiesen. Und auch bei unseren Politiker, die sonst gelegentlich wie eine Hammelherde wirken und nur profilneurotisch erscheinen, erkennt man jetzt Stärken.

Wir dürfen die Kreativität der Unternehmer und ihrer Mitarbeiter auf keinen Fall kleinreden lassen. Ich erlebe täglich, wie phantasiereich und wie kundig in der Krise reagiert wird.

Welches sind Ihrer Meinung nach die Hauptrisiken, auf die Unternehmen vorbereitet sein sollten?

Mit Coronabrille betrachte ich zur Zeit gar nicht die vielen organisatorischen Aspekte der vorbereitbaren Krisenbewältigung, sondern die wirtschaftliche Seite. Mittelständler und Kleinbetriebe sind oft unterkapitalisiert. Knappe Finanzdecken erschweren die Krisenbewältigung. Über Vorbereitung möchte ich jetzt in der Situation auch gar nicht sprechen. Das hätte Vorwurfscharakter, und über ein schlechtes Gewissen nachzudenken, ist jetzt nicht Thema der Stunde. Die heutige Frage ist: Wie komme ich als Unternehmen durch die Krise und kann die Mitarbeiter optimal schützen?

Das sehen wir beim Thema Homeoffice. Unternehmen, die keine Homeoffice-Strategie haben, vor allem patriarchalisch geführte Mittelständler, kaufen jetzt zum Teil hunderte Notebooks – wenn sie sie bekommen können. Das und deren Installation kostet viel Geld und Zeit. Da liegen Versäumnisse, an denen gegenwärtig heftig, kreativ und erfolgreich gebastelt wird. Einige Mittelständler gestatten unter hoffentlich strengen Sicherungsauflagen, dass ihre Administratoren auch private Rechner, wenn sie geeignet sind, in die Firmen-IT einbinden. Die Sicherheitsauflagen müssen aber konsequent hoch sein, sonst holt man sich die nächste Katastrophe ins Haus – beispielsweise Ransom-Software.

Aber ehrlich: Einige der vielgepriesenen Vorbereitungen sind bei manchen Krisen für die Katz!

Software nicht die alleinige Lösung

Wie meinen Sie das?

Es gibt verschiedene Anbieter von umfassender Krisen-Software. Leider errichten die Anwender damit endlos und umfassend einen Datenfriedhof und pflegen die Software nicht zeitnah, weil das Tagesgeschäft und der Fachkräftemangel die Leute überrollt. Da werden bisweilen Szenarien mit Handlungsanweisungen gespickt, die mehrere Aktenordner füllen würden und die im Rechner zu finden, eine permanente Befassung mit dem Thema erforderlich machen. Schon ein Tausendmann-Betrieb hat dafür kaum Kapazitäten. Und auch größere kommen offenbar nicht damit zurecht. So ist eine Investition in diese Software anwenderbedingt oft für die Tonne.

Durch Vorgaben und überbordende Checklisten wird das Denken Software-gesteuert abgeschafft und die Phantasie beschnitten. Die erste Großkrise, in die ich als Berater involviert war, traf 1979 ein Unternehmen genau in der Weihnachtssaison, die ungefähr 60 bis 70 Prozent des Jahresumsatzes ausmachte. Ein Großbrand hatte zu einem indirekten Totalschaden der EDV (heißes Löschwasser) geführt. Es gab nichts an Vorbereitung. Ich gab damals die gewagte These aus: „Business as usual“ zu betreiben, lediglich unter erschwerten Umständen. An der These ist auch heute noch etwas dran. Handbücher schaffen oftmals andere Organisationsstrukturen in der Arbeitsebene. Das ist ein großer Fehler. Die Krise erfordert Tagesarbeit nur mit anderen Schwerpunkten oder Inhalten.

Wir machen seither Krisenhandbücher immer zweiteilig, immer auch auf Papier. Einen Teil sehr kurz, der über das informiert, was jede Führungskraft wissen sollte. Der andere Teil befasst sich mit wenigen Besonderheiten der Krisenstabsarbeit. Dazu gibt es Schulungs- und Übungskonzepte. Das hat sich extrem bewährt!

Wurden Risiken bezüglich einer Pandemie ignoriert oder liegt es an den damit verbundenen Kosten?

Beides.

Warum?

Dass Risiken ignoriert wurden, erkläre ich mir mit nicht präsentem Geschichtswissen über Pandemien. Es gab teilweise dieses Wissen, das aber nicht aufgegriffen wurde. Googeln Sie mal die Bundestagsdrucksache 17/12051 vom 3.1.2013 auf der Webseite des Bundestages. Da wird auf Seite 5 das beschrieben, was heute passiert. Sogar die Prognosen über Zahlen sind realistisch. Ich zitiere:

„Das Szenario beschreibt eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitung eines hypothetischen neuen Virus, welches den Namen Modi-Sars-Virus erhält. Mehrere Personen reisen nach Deutschland ein, bevor den Behörden die erste offizielle Warnung durch die WHO zugeht. Darunter sind zwei Infizierte, die durch eine Kombination aus einer großen Anzahl von Kontaktpersonen und hohen Infektiosität stark zur initialen Verbreitung der Infektion in Deutschland beitragen. Obwohl die laut Infektionsschutzgesetz und Pandemieplänen vorgesehenen Maßnahmen durch die Behörden und das Gesundheitssystem schnell und effektiv umgesetzt werden, kann die rasche Verbreitung des Virus aufgrund des kurzen Intervalls zwischen zwei Infektionen nicht effektiv aufgehalten werden. Zum Höhepunkt der ersten Erkrankungswelle nach ungefähr 300 Tagen sind rund sechs Millionen Menschen in Deutschland an Modi-Sars erkrankt. Das Gesundheitssystem wird vor immense Herausforderungen gestellt, die nicht bewältigt werden können.“

Rolle der Berater

Haben hier dann die Berater versagt?

Sicher auch. Aber sie standen auch vor dem Problem der Glaubwürdigkeit. Wer mit einem solchen Szenario kam, wurde in der Regel nicht ernst genommen. Daher liefen auch bei den Unternehmen, die exzellente Vorsorge planten, die Stabsübungen in milderen Risikoszenarien ab. Das gilt auch für unser Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das Gesundheitswesen, die Politik – eben alle. Zwar hat es mehrere Übungen – auch länderübergreifend gegeben, sie waren notwendig und hilfreich, aber nicht erschreckend genug.

Versagt hat auch die renommierte Wissenschaft: Die Bertelsmann-Stiftung hatte kurz vor der Katastrophe dringend empfohlen, die Zahl der Krankenhausbetten abzubauen. So lautete die Kernaussage: „In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser. Eine starke Verringerung der Klinikanzahl von aktuell knapp 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser würde die Qualität der Versorgung für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern.“

Aus der Vergangenheit lernen

Die Wirkketten globaler Versorgungsprozesse bei dem Ausfall einzelner Elemente wurden ebenfalls stark unterschätzt. Eine Verknappung von Gesundheitsgütern durch hirnloses Hamsterverhalten anstelle sinnvoller Vorratswirtschaft zeigt ungeahnte Einflüsse. Auch dafür gibt es Beispiele. Als ein Hersteller von Türschlössern Ford vor einigen Jahren nicht belieferte, standen ganze Werke still. Niemand hat einmal die historischen Pandemien systematisch untersucht und daraus Schlüsse gezogen. Übrigens an der Beringstraße in Alaska gab es 1919 ein Dorf mit knapp 90 Einwohnern, von denen nur acht die Spanische Grippe überlebten. Zwei hat man exhumiert und festgestellt, dass aus den Lungen das Virus gezüchtet werden kann. Also auch diese Grippeviren haben irgendwie überlebt, mutieren, kommen zurück? Man ist sich nicht sicher, sollte das aber erforschen, um Realszenarien zu erarbeiten. Ich bin sicher, man hätte aus historisch belegten Risikobeschreibungen Handlungsanweisungen erarbeiten können.

Oder werfen wir noch einen Blick weiter zurück in die Vergangenheit: Vergleichen wir Corona mit den Pestwellen des 12. bis 18. Jahrhunderts, können wir sicher sein, dass diese nie so verlaufen wären, wenn man Hygiene und Kontaktsperre (Quarantäne) betrieben hätte. 1679 kam die Pest nah an Wien heran. Der damalige Münzmeister der Kaiserlichen Prägeanstalt, Matthias Mittermayer von Waffenberg, legte umfassende Vorräte an und holte alle Mitarbeiter inklusive ihrer Familien in die Münze. Alle Fenster und Türen nach außen wurden bis auf kleine Beobachtungslöcher zugemauert. Die Quarantäne währte neun Monate. Niemand war krank geworden. Die Geretteten gelobten eine jährliche Wallfahrt nach Lainz. Sie wird auch heute noch, nach 341 Jahren, von den Münz-Mitarbeitern und ihren Angehörigen kurz nach Pfingsten wahrgenommen.

Wie kann einem Unternehmen dann aber vermittelt werden, dass es sich auf Krisen vorbereiten muss?

Eine alte Regel lautet: Aus Schaden wird man klug! Am wirksamsten also durch eine solche Krise! In der Nachlese kommt das Thema „lessons learned“. Das wird viel bringen, denn die Welt der Ökonomie wird sich verändert haben. Eine der Antworten wird sein, die Finanzbasis der Unternehmen zu stärken, Rücklagen zu bilden, auf Gewinnausschüttungen längere Zeit zu verzichten. Und man kann hoffen, dass unsere Regierung eine Entscheidung fällt, die 1982 die Wirtschaftskrise beendete Eine Veränderung der Abschreibungsregeln, um die nicht mehr vorhandene Liquidität zu schaffen. Weniger wichtig ist der Wunsch nach umfassenden Krisenmanagement-Handbüchern.

Lehren aus Fukushima

Kommen wir zurück auf die aktuelle Situation: Haben Unternehmen beispielsweise aus der Nuklearkatastrophe von Fukushima gelernt? Hat man beispielsweise die Produktionsketten untersucht, um sich nicht von einem einzigen Zulieferer abhängig zu machen?

Dazu kann ich keine pauschale Antwort geben. Aber wir haben tatsächlich danach eine Reihe von Aufträgen bekommen, besonders von international tätigen Unternehmen, die bei sich Defizite in der Infrastruktur erkannt haben und die Lücken durch Berater analysieren und schließen lassen wollten.

Was die Produktionsketten angeht: Genau das waren damals Schwerpunkte in verschiedenen Unternehmen. Denn es gab Lieferprobleme in der IT- und TK-Industrie. Einige Unternehmen haben die Vorratswirtschaft überarbeitet und auch ihre Aufträge auf unterschiedliche Länder und Anbieter verteilt. Dabei wurden auch politische Veränderungen, zum Beispiel Türkei, betrachtet und in die Risikoüberlegungen einbezogen.

Waren alle so lernfähig?

Nein. Es gibt Branchen, die nicht gerade als besonders lernfähig empfunden werden, wie zum Beispiel die Pharmaindustrie. Die ist als Teil einer Großkrise denkbar, weil sie ihre Lieferfähigkeit aufs Spiel setzte, um noch mehr Geld zu verdienen.

Ein Mangel an Lernfähigkeit zeigt sich auch in der Politik: Unsere Abhängigkeit von russischem Erdgas wird mit der Ostsee-Pipeline wachsen, obwohl wir alle wissen, dass Russland kein so ganz verlässlicher Partner ist, es hat ja schon mal die Ukraine vom Gas abgehängt… Das gilt auch für die Türkei. Einige Zulieferungen der Autoindustrie kommen zu 100 Prozent aus der Türkei, was einem Roulettespiel nahekommt. Bereits vor 15 Jahren haben wir einem Kunden ein Lieferantensplitting empfohlen, weil wir die Abhängigkeit von dem politischen System der Türkei schon damals als Risiko einstuften. Er ist dem Rat gefolgt.

Wenn ein Unternehmen bis jetzt noch keine Maßnahmen ergriffen hat, ist es nun zu spät für ein entsprechendes Krisenmanagement?

Nein.

Krisenmanagement muss Prozesse analysieren

Welches sind die ersten Schritte, die Sie solchen Unternehmen empfehlen würden?

Krisenmanagement ist auch eine Frage des logischen Denkens, und man muss seinen Betrieb kennen. Davon kann man aber ausgehen, wie auch die Gegenwart zeigt. Man muss sich Antworten auf die krisenbedingten Behinderungen geben. Das erfordert, das Wissen über Ursachen und Wirkung zu erweitern, Wirkungen zu beurteilen, Prioritäten zu setzen, Ressourcen zu optimieren und zu handeln.

Welche Rolle spielt in einer Krise die Kommunikation?

Eine außerordentlich große Rolle. Wir haben in unserem Unternehmen unsere Kunden sofort darüber informiert, wie arbeitsfähig wir in der Krise sein werden und welche Maßnahmen wir dazu ergriffen haben. Wir haben mit allen unseren Mitarbeitern über eine

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