Was kostet uns Extremismus?

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Extremistische Strömungen erstarken: Um die dadurch entstehenden Kosten abschätzen zu können, bedarf es eines neuen Konzepts..

Die Zahl extremistischer Straftaten in Deutschland steigt; um die Kosten zu beziffern, die der Gesellschaft dadurch entstehen, hat das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit gGmbH (BIGS) dazu ein Konzept erarbeitet. Nun muss es anhand realer Daten auf Brauchbarkeit und Aussagekraft getestet werden.

Seit einigen Jahren ist ein Erstarken extremistischer Strömungen unterschiedlicher Couleur zu beklagen. Dies betrifft nicht nur den breit in Medienberichterstattung thematisierten Islamismus als Teilbereich des religiösen Extremismus, sondern insbesondere auch den Rechtsextremismus. Gleichzeitig bilden sich neue Schwerpunkte der linksextremen Szene, und auch „ausländische Ideologien“ sowie ökologisch motivierte Anliegen werden in zunehmendem Maße mit Mitteln jenseits des demokratischen Meinungsstreits in der Bundesrepublik ausgefochten.

Die Kosten von Extremismus erfassen

Die Dynamik der Problematik wird nicht nur den fachlich damit befassten Behörden und Nichtregierungsorganisationen zunehmend bewusst, sondern auch der „bürgerlichen Mitte“. Weniger präsent sind im öffentlichen Diskurs die finanziellen Belastungen, die unserer Gesellschaft durch das Gesamtphänomen Extremismus entstehen. Insbesondere entstehen Kosten durch Verhinderung von Gewalttaten sowie – insofern das nicht gelingt – die Folgen dieser Taten für direkte und indirekte Opfer. In diesem Zusammenhang hat sich eine Debatte entwickelt, wie solche den Menschen, Institutionen oder Gebietskörperschaften entstehenden Kosten erfasst und quantifiziert werden können.

Das BIGS Potsdam hat sich mit dieser Frage befasst und ein neues Schätzkonzept entwickelt, das einige irreleitende Vereinfachungen der bisherigen Debatte korrigieren möchte.

Begriffe unterscheiden

Erstens gibt es eine Tendenz, in Definitionen die Begriffe Radikalismus, Extremismus und Terrorismus nicht sauber voneinander zu trennen. Es ist unbestritten, dass die Übergänge fließend sind und es erhebliche Schnittmengen gibt, auch wenn hier in gewissem Maße Äpfel und Birnen verglichen werden. Radikalismus und Extremismus beziehen sich auf Mangel an Mäßigung und Toleranz, während Terrorismus eine Taktik zur Beeinflussung einer Bevölkerung durch Erzeugen von Furcht darstellt. Eine Kostenschätzung würde aber unvermeidlich zu hoch ausfallen, wenn diese drei Bereiche einfach in einen Topf geschmissen würden.

Das BIGS hat sich eingehend mit möglichen Definitionsansätzen befasst. Hier gibt es drei Denkschulen: Der normative Ansatz kommt aus Sozialpsychologie und Politikwissenschaft. Er grenzt Extremismus anhand des ideologischen Abstands zur politischen Mitte sowie gegebenenfalls zusätzlich anhand der Nutzung von Gewalt als Mittel vom Rest der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung ab. Der negative Ansatz ist ein juristischer und stellt auf Bestrebungen zur Beeinträchtigung oder Beseitigung unserer freiheitlich-rechtlichen Grundordnung ab.

Der positive Definitionsansatz schaut dagegen auf verbindende Strukturen und Strategien, die dem weiten Feld von Extremismus aller ideologischen Ausprägungen gemein sind. Er beinhaltet als wesentliche Merkmale – sozusagen als kleinsten gemeinsamen Nenner, den man sowohl bei rechten, linken, religiösen, ökologisch oder wie auch immer motivierten Extremisten immer vorfindet – einen Absolutheitsanspruch und ein identitäres kollektives Gesellschaftsverständnis.

Die Forscher des BIGS vertreten die Auffassung, dass die positive Begriffsbestimmung – die auf demokratischen Werten basiert und weder zu zeit- noch zu ortsspezifisch ist – die für die Kostenschätzung geeignetste Grundlage bietet. Als Extremismus wird für ihre Zwecke betrachtet, was drei Voraussetzungen erfüllt: einen absoluten Geltungsanspruch der vertretenen Meinung, einen Autoritätsanspruch bezüglich ihrer konkreten Auslegung und den Wunsch nach einer identitätsbasierten Gesellschaft entlang „tribalen“ Denkens im Sinne von „Wir gegen die anderen“.

Verschiedene Kostenarten

Zweitens gibt es eine Tendenz bisheriger Quantifizierungsversuche solcher Kosten, diese sämtlich als Totalverluste zu betrachten. Die Wirklichkeit ist wesentlich nuancierter und komplexer. Sicher, es gibt solche Totalverluste, insbesondere bei Betrachtung bestimmter Zeitspannen oder geografischer Räume. Es gibt jedoch auch externe Effekte – vereinfacht, positive und negative Wirkungen auf unbeteiligte Dritte – und Verdrängungseffekte sowie Nullsummenspiele (à la „Des einen Freud ist des anderen Leid“), und Opportunitätskosten („was hätte die Gesellschaft ohne die entstandenen Kosten sinnvolles Anderes mit dem Geld anfangen können“). Auf welchem Wege und wie stark Kosten des Extremismus die Gesellschaft belasten, hängt also von der Kategorie ab. Das alles einfach zu addieren – insbesondere global – führt zu einer vermeidbaren Überschätzung.

Man kann das besser machen, und das BIGS hat ein Konzept dafür entwickelt. Dieses muss noch anhand von Daten auf Landkreisebene – unter anderem zu politisch motivierter Kriminalität – auf Brauchbarkeit getestet werden. Einstweilen kann anhand von Fallstudien zu Links- und Rechtsextremismus sowie Islamismus lediglich exemplarisch gezeigt werden, dass Extremismus über seine direkten Ziele und Opfer hinaus Kriminalität, Tourismus und Bildungs- beziehungsweise Arbeitsmigration signifikant beeinflusst. Was aber beispielsweise von den erheblichen Kosten polizeilicher Absicherung von Demonstrationen und Gegendemonstrationen zu sehr polarisierenden Themen echte Mehrkosten aufgrund der Teilnahme (gewaltbereiter) Extremisten sind, und was auch bei rein gemäßigten Kundgebungen angefallen wäre, ist schon schwieriger zu trennen.

Eine ganzheitliche Schätzmethode entwickeln

Drittens bezweifelt das BIGS auf Basis dieser Definitionsaspekte des Phänomens Extremismus und der Kostenkategorien, dass eine Schätzung mittels eines „buchhalterischen Ansatzes“ machbar ist, der die Kosten aus als relevant erachteten Bereichen aufsummiert. Der Datenbedarf wäre unrealisierbar anspruchsvoll, und oft würde der Vergleichswert – wie teuer wäre die Kostenkategorie gekommen, wenn es keinerlei Extremismus-Problem gegeben hätte (beispielsweise bei der polizeilichen Absicherung von Demonstrationen) – fehlen. Und damit natürlich auch das „Mehr“, das durch Extremismus verursacht wird. Umso wichtiger ist die Entwicklung einer geeigneteren Schätzmethode. Die wichtigsten drei Botschaften lauten: Jeder Versuch, die unserer Gesellschaft durch Extremismus entstehenden Mehrkosten zu schätzen, muss mit einer ordentlichen Definition des Problems und der Analyse-Einheit beginnen – also mit einer Festlegung, welche Taten und Täter Extremismus genau ausmachen; und einer Festlegung, welche Zeitperiode sowie welche Gegend hier eigentlich betrachtet werden sollen. Außerdem muss ein ganzheitlicher Schätzansatz gewählt werden, der nichts vergisst und zusätzlich noch berücksichtigt, dass verschiedene Kostenkategorien auch verschieden wirken. Zu guter Letzt muss auch die subjektive Komponente Berücksichtigung finden, da Wahrnehmungen und Empfindungen der Bevölkerung bezüglich extremistischer Einstellungen und Handlungen viele Entscheidungen beeinflussen – Wahl des Wohn-, Arbeits- oder Studienorts, Investitionen, sogar das Konsumverhalten. All das und weitere Faktoren beeinflussen dann die wirtschaftliche Lage eines Landkreises, Bundeslands und letztlich des gesamten Landes und unserer Gesellschaft.

Weitreichende Auswirkungen

Das BIGS schlägt ein ökometrisches Schätzdesign vor, das die kausalen Beziehungen zwischen dem Ausmaß von Extremismus im jeweiligen Landkreis und einer Reihe von Wirtschaftskennzahlen untersucht. So könnte der volkswirtschaftliche Schaden für den jeweiligen Kreis beziffert werden, der auf Extremismus zurückzuführen ist. Das Konzept ist erarbeitet und steht. Nun muss es anhand realer Daten auf Brauchbarkeit und Aussagekraft getestet werden.

Während Wirtschaftsdaten zu Einkommen, Produktivität und so weiter verfügbar sind, braucht es für das „flüchtigere“ Phänomen Extremismus möglichst handfeste Näherungsdaten auf Landkreisebene. Gut denkbar wären Daten zu politisch motivierter Kriminalität. Diese sind jedoch in der Regel nur auf großräumiger Ebene – Bundesländer oder Bund – öffentlich verfügbar. Hier müssen sich also zunächst Politik beziehungsweise Verwaltung der einzelnen Länder bereiterklären, solche Daten auf Landkreisebene für die Forschung bereitzustellen – nicht überall ist man dazu bislang gleichermaßen bereit.  

Dr. Johannes Rieckmann, Senior Research Fellow am Brandenburgischen Institut für Gesellschaft und Sicherheit gGmbH (BIGS)


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