Wie verhindern Krisenmanager die Krise nach der Coronakrise?

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Krisenmanager müssen Informationen systematisch bewerten, um „vor die Welle“ zu kommen, wie sie beispielsweise durch die Coronakrise entstanden ist..

Hat die Coronakrise Anfang März noch die ganze Welt geschockt, gehört sie heute beinahe schon zum (Arbeits-)alltag: Prof. Dr. André Röhl, Studiengangleiter Sicherheitsmanagement (B.A.) an der NBS, erläuterte, vor welchen Herausforderungen Krisenmanager aktuell stehen.

Die ersten Monate im Zeichen der Pandemie haben wir hinter uns. Basismaßnahmen wie Homeoffice oder Abstandsregelungen sind in vielen Unternehmen umgesetzt. Mittlerweile gibt es sogar schon die ersten Lockerungen. Können sich die Krisenmanager jetzt zurücklehnen?

Prof. Dr. Andé Röhl: Dafür wäre es sicherlich zu früh, wenngleich sich Taktung und Fokus des Krisenmanagements verändern. Neben Infektionsrisiken und verantwortungsvoller Nutzung wiederhergestellter Freiräume geht es jetzt um die Bewältigung ökonomischer Folgen, aber auch um die Verhinderung einer weiteren Krise infolge von Wirtschaftskriminalität. Ein Großteil der Wirtschaft funktioniert seit Wochen gezwungenermaßen nur mit Hilfe von improvisierten Prozessen. Das hat Folgen für die Informationssicherheit und verringert Kontrollmöglichkeiten, wenn etwa durch Teamsplitting das „Vier-Augen-Prinzip“ erschwert wird. Dadurch entstehen neue Angriffspunkte für Datendiebstahl und Manipulation. Hier müssen dringend Kontrollprozesse wieder sinnvoll verstärkt werden. Dass Kontrollen Zeit kosten, die oft aufgrund der schwierigen ökonomischen Situation kaum vorhanden ist, erschwert die Lage.

Unternehmen haben flexibel auf Coronakrise reagiert

Gibt es Unterschiede, welche Unternehmen es bisher besonders gut geschafft haben, auf die neuen Herausforderungen zu reagieren?

Meine These ist, dass sich Unternehmen in Deutschland zusammen mit ihren Mitarbeitern insgesamt sehr agil gezeigt haben, als es darum ging, auf die zum Teil sehr kurzfristig erfolgten behördlichen Anordnungen zu reagieren. Offensichtlich hatten viele Unternehmen bereits im Vorfeld mit entsprechenden Planungen begonnen. In der konkreten Umsetzung schienen Unternehmen, die sich bereits mit mobilem Arbeiten befasst haben, im Vorteil.

Hinzuzufügen ist allerdings, dass es sich insgesamt um eine Art Gemeinschaftsleistung der Wirtschaft handelte und einzelne Unternehmen von den Best Practices anderer Unternehmen profitieren konnten. Das sagt dann noch nicht viel über den Reifegrad des Krisenmanagements in jedem Unternehmen aus. Vielmehr deuten beispielsweise die Ergebnisse einer Umfrage, die ein Student der NBS unmittelbar vor Beginn der Coronakrise durchführte, eher darauf hin, dass Krisenmanagement als solches in vielen Unternehmen noch ausbaufähig ist. Dabei verstehe ich Krisenmanagement nicht als die Anwendung vorgefertigter Notfallpläne, sondern als Befähigung, Entscheidungen zu treffen.

Auch wenn einige Bereiche besser als andere auf die Krise eingestellt waren: Insgesamt hat man aber doch den Eindruck, dass alle von der Coronawelle „erschlagen“ worden sind. Wie kann es gelingen, wieder „vor“ die Welle zu kommen?

Es hat sich in den letzten Wochen gezeigt, wie wichtig es ist, verlässliche und aktuelle Informationen zu haben, diese Informationen systematisch zu bewerten, um dann entschlossen handeln zu können. „Wägen“ und „Wagen“ sind zwei Seiten einer Medaille. Bei der Bewertung möglicher Handlungsoptionen kann die Analyse unterschiedlicher Szenarien sehr wichtig werden. Durch die Entwicklung im Bereich Big Data beziehungsweise Data Analytics bieten sich hier sehr viele Möglichkeiten, diese Szenarien sehr konkret auf ein Unternehmen zuzuschneiden. Dies erscheint jetzt besonders wichtig, da wir in der aktuellen Phase von einem Lockdown, der alle mehr oder weniger gleich betroffen hat, in eine Phase übergehen, in der die Auswirkungen stark von der Region, der Branche oder den Wechselwirkungen mit anderen Unternehmen abhängen.

Krisenmanager müssen einen systematischen Entscheidungsprozess sicherstellen

Sei es, dass das Krisenmanagement eines Unternehmens gut vorbereitet war, sei es, dass sich Lücken oder Schwachstellen gezeigt haben: In welchen Schritten sollten Krisenmanager jetzt vorgehen?

Das hängt etwas davon ab, wie das eigene Krisenmanagement in den letzten Wochen bewertet wird. Diese Bewertung ist durchaus schwierig, da wir es mit einer Art schleichender Krise zu tun haben, in der die Entscheidung, ob eine Krise vorliegt oder wieder beendet ist, herausfordernd sein kann. Wir haben eine Situation, die für viele irgendwie zwischen „normalem Tagesgeschäft“ und „Krisenmodus“ liegt, wodurch die Begründung und Kommunikation von Entscheidungen erschwert wird. Sinnvoll erscheint daher für das eigene Unternehmen zu verorten, ob es näher an der „Krise“ oder näher am „Normalzustand“ liegt, um dann über Aufgabenverteilung und Verantwortung für Entscheidungsprozesse zu entscheiden. Die Frage, wie mit solchen Situationen innerhalb eines Unternehmens aber auch im Verbund mit Behörden und der Gesellschaft umzugehen ist, wird uns sicher auch über die Krise hinaus beschäftigen. Für das Krisenmanagement selbst bleibt die Anforderung, dass ein systematischer Entscheidungsprozess sichergestellt werden muss.

Wegfall von Aufgaben entscheidend

Sie haben gerade eine Umfrage zur Sicherheitswirtschaft durchgeführt. Können Sie diese bitte kurz erläutern? Gibt es schon erste Ergebnisse?

Tatsächlich haben wir einige Forschungsinitiativen gestartet, die sich aus Sicht des Sicherheitsmanagements mit den Auswirkungen der aktuellen Situation befassen. Dazu gehört auch eine Umfrage, die Hinweise auf die Leistungsfähigkeit der Sicherheitswirtschaft in der Krise geben soll. Zu Beginn der Krise gab es Berichte, dass Aufgaben nicht mehr erfüllt werden könnten, und Überlegungen, notfalls die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe für den Schutz von Kritischen Infrastrukturen einzusetzen. Die Ergebnisse unserer Stichprobe deuten jedoch darauf hin, dass nicht der Ausfall von Mitarbeitern, sondern der Wegfall von Aufträgen das entscheidende Thema ist. Auch neue Aufgaben bei Supermärkten oder ähnliches können dies nicht kompensieren, zumal eine flexible Übernahme neuer Aufgaben nur eingeschränkt möglich ist. Die Sicherheitswirtschaft wäre demnach also leistungsfähig, könnte ihr Potenzial aber nicht vollumfänglich einbringen.

Wie sieht es übrigens mit Ihrem Studiengang Sicherheitsmanagement aus? Auch das Schulsystem ist ja von den Ereignissen überrollt worden, und jetzt zeigt sich deutlich, dass E-Learning in den meisten Bundesländern und Institutionen noch ein Fremdwort ist.

Da unser Sommersemester an der NBS früher als an anderen Hochschulen beginnt, waren wir im März unmittelbar von den Anordnungen zum Lockdown betroffen. Wir haben innerhalb einer Woche die komplette Lehre auf Online-Vorlesungen umgestellt und Prozesse für Prüfungen oder Studierenden-
betreuung angepasst. Auf diese Weise können wir unseren Studierenden einen verzugslosen Verlauf des Studiums gewährleisten. Persönlich bin ich mit den Onlinevorlesungen im Großen und Ganzen sehr zufrieden, und wie es sich für angehende Sicherheitsmanager gehört, haben sich die Studierenden rasch auf die neuen Rahmenbedingungen eingestellt. Sorgen macht mir allerdings, dass viele Unternehmen aktuell sehr zurückhaltend sind, wenn es um Stellenangebote für Berufseinsteiger oder Praktikumsplätze mit Bezug zum Sicherheitsmanagement geht. Dabei sollte die aktuelle Krise vor allem gezeigt haben, wie wichtig es ist, gut ausgebildete Sicherheitsmanager im Unternehmen zu haben.


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